Der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf freut sich, mit The Notebook Simulations die erste institutionelle Einzelausstellung von Agnes Scherer zu präsentieren. In den letzten Jahren entwickelte die in Düsseldorf ausgebildete, mittlerweile in Berlin lebende Künstlerin eine einzigartige Arbeitsweise zwischen Ausstellung und Bühnenstück, die Skulptur, Malerei, Zeichnung, Musik und Performance in vielschichtigen Operetten und narrativen Installationen vereint. Ausgehend von kunst- und kulturgeschichtlichen Recherchen überlagert sie dabei oftmals unterschiedliche historische Präsentationsformen und Bezüge. Bewusst gesetzte Anachronismen kommen in ihren künstlerischen Bearbeitungen als Verfremdungsstrategien zum Einsatz, um Machtverhältnisse freizulegen und Gegenwärtiges noch deutlicher hervortreten zu lassen.
Für ihre Ausstellung am Grabbeplatz hat Agnes Scherer eine Installation aus neun monumentalen, überdimensionalen „Laptop-Simulationen“ produziert, auf deren gemalten Flachbildschirmen mythische und rätselhafte Szenarien zusammen mit Elementen „zeitgenössischer Folklore“ zu sehen sind: Bezug nehmend auf die Gouachensammlung des Augsburger Wunderzeichenbuchs aus dem 16. Jahrhundert – in dem Naturphänomene als Vorzeichen oder Warnung dargestellt werden – sind auch bei Scherer zahlreiche wundersame Ereignisse und unerklärliche kosmische Phänomene abgebildet, in Kombination mit Fehlermeldungen des Windows-Betriebssystems und sich endlos vervielfachenden Programmfenstern. Kommentiert werden ihre Bildfindungen von Texten und Botschaften, die sie als Verweise auf ihre eigene Autorschaft in die Tastaturen der mobilen Rechner eingeschrieben hat – anstelle von regulären Keyboards befinden sich hier beispielsweise zu subjektiven Codes geänderte Buchstaben- und Zeichenfolgen oder auch ein Selbstporträt der Künstlerin.
In ihrer strengen Anordnung, die megalithische Setzungen und altertümliche Tempelanlagen abruft, erscheinen Scherers Notebook-Simulationen als archaisch anmutende Ruinen einer in die Vergangenheit wegdriftenden Ära. Den Auftakt ihrer Installation bildet die Arbeit Der Perseidenschauer. Sie zeigt ein Naturereignis, das Agnes Scherer angeblich zusammen mit einer Freundin in einem schottischen Moor beobachtete. Zusätzlich zu diesem jährlich stattfindenden Meteorstrom erschien jedoch, so Scherer, eine unerklärliche Lichtsphäre, ein Irrlicht. Zunächst scheinbar gut zu lokalisieren, wechselte es mehrfach seine Position und blieb schließlich unerreichbar. Genauso wie das Irrlicht seine präzise Verortung nur vorgibt und ein nicht enden wollendes Fangspiel in Gang setzt, liefert auch die Künstlerin mit ihren Bild- und Textmotiven zwar zahlreiche Deutungsebenen, die sich jedoch als Täuschungen herausstellen können. Barocke Emblematik, der seit Beginn der Moderne immer wiederkehrende Fenstertopos, surreale Trugbilder und Computeroberflächen verbinden sich zu auf die Wände der Ausstellungshalle ausufernden Laptop-Diptychen. Indem Scherer, dem Irrlicht gleich, Abschweifungen aneinanderreiht, macht sie die Frage nach der Intentionalität zum Gegenstand des Interesses – sowohl die Intentionalität der Künstlerin als auch die der metaphysischen Lenker, die auf der Bildoberfläche undurchschaubare Spiele mit irdischen Figuren treiben.
Agnes Scherer lebt in Berlin und Salzburg. Sie studierte Malerei bei Professor Peter Doig an der Kunstakademie in Düsseldorf. Ihre erste Operette Cupid and the Animals wurde im Jahr 2015 mit dem Nigel Greenwood Art Prize ausgezeichnet und u. a. im Museum Ludwig, Köln (2017), und bei Tramps, New York (2018), aufgeführt. Für die narrative Installation The Very Hungry, die erstmals im Horse & Pony, Berlin, gezeigt wurde, ist Agnes Scherer mit dem Berlin Art Prize 2019 ausgezeichnet worden. Darüber hinaus wurden ihre Arbeiten bereits international in Gruppen- und Einzelausstellungen präsentiert wie u. a. im Cabaret Voltaire, Zürich, im Projektraum 1646, Den Haag (beide 2020), bei Kinderhook & Caracas, Berlin, und im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (beide 2019). In der aktuellen Ausstellung am Kunstverein zitiert sie das Gemälde Echo Lake von ihrem ehemaligen Professor in ihrer Selbstdarstellung (die in Der Perseidenschauer rufend aus dem Auto steigt) überdeutlich, während das Schiffsgrab von Sutton Hoo am gegenüberliegenden Ende des Ausstellungsraums den ikonischen Kanudarstellungen Doigs verdächtig ähnelt. Das Schiff von Sutton Hoo, die letzte Ruhestätte eines Königs, erweist sich dabei als zweifelhafte Huldigung, die überdies nur in der Form eines verworfenen Ausstellungsentwurfs durch das Gemälde getragen wird.
Kuratorin: Eva Birkenstock (Direktion)
Kuratorische Assistenz: Gesa Hüwe
Finanzen / Administration: Hanna Welzel
Technische Leitung: Marius Comanns
Mitglieder: Sigrid Konopka
Praktikum: Theresa Rieß
Die Ausstellung wird gefördert durch
Landeshauptstadt Düsseldorf
Stadtwerke Düsseldorf
Provinzial Rheinland Versicherung