Vortrag

Sadie Plant, Hans-Christian Dany, Jack Callahan & Jeff Witscher
Vorträge und Performance-Konzert

Samstag, 4. Februar 2023
17 Uhr

Der Abend mit Vorträgen von Sadie Plant und Hans-Christian Dany sowie einem Performance-Konzert von Jack Callahan & Jeff Witscher findet anlässlich der aktuellen Ausstellung A Change in Weather (Broadcast Material 1989-2001) von Matthias Groebel statt. Die Vorträge werden in deutscher und englischer Sprache stattfinden.

Sadie Plant

Anknüpfend an ihren Essay Painted Faces in Matthias Groebels Monografie „Painted Faces. Broadcast Material 1989–2006“ (Edition Patrick Frey, 2022) untersucht Sadie Plant die nachwirkenden kulturellen, sozialen und psychologischen Einflüsse des analogen Fernsehens. Plant schreibt: „Wir haben so viel Zeit mit dem Fernsehen verbracht. Groebels Bilder fordern uns heute dazu auf, es noch einmal anders zu betrachten. Wie hat das Fernsehen die Art und Weise beeinflusst, wie wir die Welt sehen und über uns selbst denken? Inwiefern haben seine Bilder unsere Träume, Wünsche und Empfindungen geprägt? Und was bedeuten diese Fragen heute, wenn die Zeit des Fernsehens vorbei ist? Oder hat sie in gewisser Weise gerade erst begonnen?”

Sadie Plant (*1964 in Birmingham, UK) lebt und arbeitet in Biel, CH. Sie hat umfassend zur Schnittstelle von Philosophie, Technologie und Kunst geschrieben und publiziert, u.a. in Writing on Drugs (1999) und Zeros and Ones, Digital Women and the New Technoculture (1995). Derzeit unterrichtet sie im Masterstudiengang Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste Bern.

Hans-Christian Dany

„Was bedeutete es, Ende der Achtziger Jahre in die Rolle des Ingenieurs zu steigen und eine Maschine zu bauen, die malt?“ fragt Hans-Christian Dany, und weiter: „Malte diese Maschine wie ein Roboter, an der Stelle von Matthias Groebel? Oder zügelte sie die menschliche Subjektivität? Groebels Ausdruck verschwimmt mit der Maschine, scheint sie aber auch atmosphärisch zu durchdringen. Mensch und Maschine durchkreuzen sich gegenseitig. Die Vision der Moderne, als künstlerisches Subjekt zur Maschine zu werden, reicht zurück ins vorvergangene Jahrhundert. In den 1980ern aktualisierte sie sich durch die Hackerethik mit ihrer Regel: Computer können Schönheit und Kunst hervorbringen. Sind Groebels Malereien heute so anziehend, da Computer ansonsten ziemlich wenig bildende Kunst hervorgebracht haben? Oder spricht aus diesen Bildern vielleicht sogar eine posthumane Souveränität, die der Technologie bei der Formung des Bildes Raum lässt, statt sie zu unterwerfen?”

Hans-Christian Dany (*1966) lebt in Hamburg und schreibt am Morgen. Manchmal werden daraus Bücher, Speed. Eine Gesellschaft auf Droge (2008), Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft (2013), Schneller als die Sonne. Aus dem Stillstand in eine unbekannte Zukunft (2015) oder Ode to Routine (2020). Gerade schreibt er eine Serie, die zunächst online bei Mutter-Ey-Presse veröffentlicht wird. Im Frühling erscheint das gemeinsam mit Valérie Knoll verfasste Buch No Dandy, No Fun. Gutaussehend in den Untergang (2023).

Jack Callahan & Jeff Witscher

Der deutsch-amerikanische Komponist, Kybernetiker und Pionier der elektronischen Musik Herbert Brün (1918–2000) publizierte 1972 einen Essay mit dem Titel „For Anticommunication“. Darin untersucht Brün die Beziehungen von Information und Musik, insbesondere die Kommunikationsfähigkeit von Klängen und linguistischen Systemen ausserhalb von semantischer „Dechiffrierbarkeit”. Brün schrieb: “Anticommunication is most easily observed, and often can have an almost entertaining quality, if well-known fragments of a linguistic system are composed into a contextual environment in which they try but fail to mean what they always had meant, and, instead, begin showing traces of integration into another linguistic system, in which, who knows, they might one day mean what they never meant before, and be communicative again.”
Jack Callahan & Jeff Witschers neueste und fortlaufende Arbeit Futility 2023 bezieht sich auf ein gleichnamiges Stück Brüns und bringt verschiedene Soundfragmente zusammen, die das kollektive (amerikanische) akustische Unbewusste des 21. Jahrhunderts aufrufen: etwa iPhone-Klingeltöne, Fortnite-Emotes, Filmzitate aus Napoleon Dynamite (2004), TikTok-Fragmente, AOL-Instant-Messenger-Töne, YouTube-Werbung oder Klangvorlagen aus dem Borat Soundboard. Die in Hunderten von Recherchestunden während der letzten fünf Jahre von Callahan und Witscher zusammengetragene Sound-Bibliothek umfasst im Moment der Aufführung im Kunstverein über 2000 kategorisierte Hörproben und wächst kontinuierlich weiter.

Jack Callahans (*1980) & Jeff Witschers (*1983) gemeinsame Praxis wurzelt in einer langjährigen Auseinandersetzung mit Noise, Computermusik und Neuer Musik. Sie veröffentlichen unter verschiedenen Namen, zuletzt unter dem gemeinsamen Musiklabel FLEA, wo sie u.a. Stücke wie ISSUES (What Happens on Earth Stays on Earth) (2022), Stockhausen Syndrome (2021) und The Past, Present And Future Of Experimental Music (Uncut GRM) (2020) veröffentlichten. Ihre gemeinsame Arbeit untersucht die Grenzen heutiger Musiktechnologie und die akustischen Anknüpfungspunkte etwa zu Radiosendungen, Gruppentherapie-Sitzungen oder Q&A-Formaten, und befragt, was Musik in einer von Signalen und Informationen beherrschten Welt sein kann.

Bilder: Sadie Plant; Hans-Christian Dany © Donnie Londi; Jeff Witscher & Jack Callahan