Reise-Stipendium 2024

Lukas Stöver (Klasse Prof. Gregor Schneider)
Klasse Prof.in Sophie Thun
Haiqing Wang (Klasse Prof.in Dominique Gonzalez-Foerster)

Lukas Stöver (Klasse Prof. Gregor Schneider)Klasse Prof.in Sophie ThunHaiqing Wang (Klasse Prof.in Dominique Gonzalez-Foerster)

Lukas Stövers Arbeiten zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Sensibilität für traditionelle Materialbearbeitung und die damit verbundenen gesellschaftlichen und ideologischen Bedeutungen und Assoziationen aus. Seine Installationen und Wandobjekte verbinden stets Elemente aus Handwerk und Technik, Tradition und Gegenwart. Diese Gegensätze spiegeln sich nicht nur in den verwendeten Formen, die in seinen Arbeiten aufeinandertreffen, sondern vor allem in dem sorgfältigen und reduzierten Einsatz von Materialität. Die Kombination von Holz mit Metall ist ein wiederkehrendes Motiv in seiner Arbeit, die sich oft mit übersehenen, ästhetisch abgelehnten und unliebsamen Objekten beschäftigt, die in Interieurs, im Handwerk oder der Industrie zu finden sind. Stövers Arbeit offenbart eine kritische Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und der Art und Weise, wie sich diese in der Verwendung von Materialien, Farben und Handwerkstechniken niederschlägt.
Beim diesjährigen Rundgang präsentiert Stöver, der in der Klasse Gregor Schneider studiert, seine Arbeiten Ochsenkarren (Wand) und Ochsenkarren (Raum), bestehend aus zwei modifizierten PKW-Klappanhängern. Die beiden aus Holz bestehenden Ladeflächen wurden in einem aufwendigen Verfahren mit zwei für die Arbeiten entwickelten Farben gebeizt: Während die Innenseite mit einer schwarz glänzenden, aus Motoröl und Graphit bestehenden Farbe behandelt wurde, schimmert die Außen- bzw. Unterseite der beiden Anhänger dunkelrot. Dieser Farbton wurde von Stöver als eine synthetische Variante des früher oft für Holz oder Leder verwendeten Farbtons „Ochsenblut“ entwickelt, der sich durch dieselben Eigenschaften auszeichnet wie das ursprüngliche Produkt: Während der Bearbeitung hellrot, hat sich auch Stövers Version nach der Trocknung dunkelrot gefärbt. In den modifizierten Autoanhängern treffen sich das „urdeutsche“ Sehnsuchtsobjekt Auto und der Ochsenkarren, und wechseln sich Assoziationen von Fetisch- und Gebrauchsobjekt ab.

Die Klasse der kürzlich ernannten Vertretungsprofessorin Sophie Thun überzeugte durch eine poetische Gruppenpräsentation, die sich mit Fragen von Wahrnehmung im Kontext von Fotografie auseinandersetzt. Da der Klassenraum im 3. Stock der Kunstakademie aufgrund von Renovierungsarbeiten während des Rundgangs nicht zugänglich ist, entwickelte die Klasse mit Various Artists, Emma Bieck, Noah Friebel, Franciis Frings, Linda Hu Hafeneger, Judith Heinemann, Inyoung Jung, Josephine Lehmann, Lukas Mogwitz, Sungwan Park, Robert Pillenstein und Tamas Tschaidse eine Camera Obscura, die den versperrten Raum als fotografisches Bild an eine schwarze Wand zurückprojiziert und damit für die Besucher:innen des Rundgangs weiterhin in veränderter Form zugänglich macht: Durch das Loch der Kamera Obscura erscheint ein auf dem Kopf stehendes Bild einer Gruppe von Schaufensterpuppen, die die Klasse im abgesperrten Raum theatralisch inszeniert – zwei davon treffen in einem Kuss aufeinander. Damit wird der unzugängliche Raum nicht nur zu einer Bühne für eine fotografische „Aufführung“, sondern übersetzt sich auch der dreidimensionale, stark in die Länge gezogene Raum in ein zweidimensionales fotografisches Abbild. Auf den ersten Blick wie ein Standbild wirkend, offenbart sich mit längerer Betrachtung des Bildes eine beinahe mystische Szene: Eine am Fenster des abgesperrten Raums vorbeiziehende Wolke oder ein gelegentlicher Luftzug, der die Kleider der Schaufensterpuppen in Schwingung versetzt, beleben die Szenerie; sie gerät in Bewegung, wie der Titel Tableau Vivant verrät. Tableau Vivant ist eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit Raumwahrnehmung und spielt in pointierter Weise auch auf den benachbarten, altbekannten Skulpturengang der Düsseldorfer Kunstakademie an. Begleitend zur Arbeit haben die Studierenden ein Zitat eines Prosagedichts der kanadischen Dichterin und Essayistin Anne Carson gewählt:
„It’s not the photograph that disturbs you,
it’s you don’t understand what photography is.

Photography is disturbing, I said.

Photography is a way of playing with perceptual relationships.“
(Aus: Anne Carson, Autobiography of Red, 1998)

Haiqing Wang untersucht in ihren performativen und installativen Arbeiten, wie räumliche und sinnliche Erfahrung die Wahrnehmung unserer Umgebung und unserer körperlichen Erinnerung beeinflusst. Ihre Arbeiten basieren auf persönlichen Erinnerungen, literarischen Fragmenten und sozialen Ereignissen, die sie zu neuen Narrationen verknüpft. Wie bereits bei vergangenen Rundgängen ist Wangs Arbeit der Jury auch in diesem Jahr aufgefallen, die ihre bemerkenswerte Praxis nun mit einem Reisestipendium auszeichnet. Für das von der Klasse Dominique Gonzalez-Foerster konzipierte Raumkonzept eines Flohmarkts in Raum 122 hat Wang die Arbeit The Night Is Always Too Dark for Me entwickelt: Für die Laufzeit des Rundgangs performt Wang temporär die Rolle einer Straßenverkäuferin, die in China auch als 走鬼 (Geist der Flucht) bezeichnet wird. Die Performance ist eine Auseinandersetzung mit Wertzuschreibungen künstlerischer Arbeit und verweist auf eine Erfahrung, die die Künstlerin im letzten Jahr gemacht hat, als sie für ihre kuratorische Arbeit anstelle des vereinbarten Honorars von 1.000€ ein Kunstwerk der französischen Künstlerin Marie Laurencin als Vergütung erhielt. Wang nutzt den Flohmarkt als eine Plattform, um die Arbeit Laurencins für den Wert ihrer bislang unbezahlten Arbeit weiterzuverkaufen. Ein wie zufällig abgestreifter und in die Ecke geworfener Mantel, der als eine Art Platzhalter für die Künstlerin dient, wenn sie selbst nicht am Stand ist, ruft zudem eine Assoziation von Erschöpfung und Abwesenheit hervor. Diese humorvolle und grundlegende Auseinandersetzung mit Wertzuschreibung und Wertgenerierung von künstlerischer Arbeit und Wangs Hinterfragung von Machtdynamiken überzeugte die Jury sofort.