Reise-Stipendium 2021
Klasse Prof. Rita McBride
Katharina Keller
Andria Dolidze und Keta Gavasheli
Die Gruppenpräsentation Lanquished der Klasse Rita McBride konnte die Jury inhaltlich und durch ihre konsequente Umsetzung überzeugen. Die Klasse mit Jiang Anqi, Elvira Axt, Till Bödeker, Paul Budniewski, Jungeun Choi, Nils Thomas Dunkel, Konstantinos Gavrias, Haining Huang, Emilie-Alyce Hubbard-Ford, Taj Irzhavskaia, Jan Christopher Knobloch, Zhuo Li, Christian Löffel, Xiaochen Luan, Timo Lütke Deckenbrock, Anne Sophie Charlotte Maurer, Lena Mai Merle, Günther Möbius, Josephine Scheuer, Constantin Henric Stähr, Jonathan Milan Wagner, Simon Wallnöfer, Jacobien Wiersma, Mara Lisa Wohnhaas, Dingliu Yang und Linan Zhu verhandelt die Sichtbarkeit von künstlerischer Arbeit in Zeiten, in denen die vertrauten Strukturen des Klassenkollektivs und von gemeinschaftlichem Arbeiten durch Covid-19 starken Veränderungen unterworfen sind. Während der physischen Isolation und der vorübergehenden Schließung der Kunstakademie während der vergangenen Monate bot der digitale Raum für die Studierenden die Möglichkeit, eine neue Form des kollaborativen Arbeitens zu erproben. Der Titel Lanquished ist ein Neologismus, der sich aus den Wörtern „languish“ (dt. „unfreiwillig in einem unangenehmen Zustand zu verweilen“) und „vanquish“ (dt. „überwinden“) zusammensetzt. Seit Januar dieses Jahres arbeitet die Klasse gemeinsam an dem sich kontinuierlich fortschreibenden Projekt, das sich auch während der Laufzeit des Rundgangs verändert und entwickelt. In seiner derzeitigen Präsentationsform besteht Lanquished aus einer raumgreifenden Videoarbeit, Objekten, die von einem 3D-Drucker vor Ort produziert und in Vitrinen ausgestellt sind sowie einem Posterdruck, der ähnlich wie ein Film-Abspann die Titel der einzelnen Arbeiten und die Namen der Mitwirkenden auflistet. Die 2-Kanal-Videoprojektion am Eingang zeigt Aufnahmen von Maske tragenden, wartenden Studierenden, die einem digitalen Rendering eines Laufbands gegenübergestellt sind, das im Loop Objekte hin- und wegtransportiert. Dieselben Arbeiten sind im zweiten Teil des Raumes als 3D-Drucke wiederzufinden – allerdings ihrer individuellen Materialität beraubt und stattdessen durch den einheitlichen semitransparenten Kunststoff homogenisiert.
Mit ihrer Videoarbeit HYDRODAMALIS GIGAS (2020) untersucht Katharina Keller Momente des Zufalls und potentielle, spekulative Zusammenhänge unterschiedlicher Handlungen. Keller nimmt darin auf Genrecodes des Dokumentarfilms Bezug, unterwandert und hinterfragt diese aber gleichzeitig. In ihrer Beschäftigung mit der Figur Georg Wilhelm Steller (1709 – 1746), Forscher und Arzt auf der russischen Halbinsel Kamtschatka, spürt sie der Geschichte einer von ihm entdeckten Seekuh (Hydrodamalis gigas) nach, die seitdem nach ihm benannt ist. Über 200 Jahre nach der Entdeckung des heute ausgestorbenen Tiers findet der Künstler Sergej Pasenyuk auf einer Nachbarinsel Kamtschatkas innerhalb von drei Jahrzehnten so viele angespülte Tierknochen, dass er sie schließlich zu einem Skelett zusammensetzen kann; das Exponat kann noch heute am Flughafen des Ortes Jelisevo besichtigt werden, wo es ausgestellt ist. Keller übersetzt in HYDRODAMALIS GIGAS unterschiedliche, vermeintlich marginale Handlungsstränge überzeugend ins Filmische und läßt verschiedene Bild- und Textebenen miteinander in Dialog treten, um zu untersuchen, wie Sinn- und Bedeutungszuschreibungen entstehen. Kellers Praxis versteht sich als „eine Verdichtung von Entscheidungen, die sie mit Orten, Lebewesen, Materialien und Objekten eingeht“.
Als „Darstellungen sich auflösender Grenzen zwischen allem Leben auf der Erde“ beschreiben Andria Dolidze und Keta Gavasheli ihre kollaborative Praxis. Die gemeinsame Videoarbeit Boundless, soundless wings ist im „Cinema“ der Klasse Prof. Dominique Gonzalez-Foerster zu sehen, während die installative, ebenfalls kollaborativ entstandene Arbeit The possible END (2021) in der Klasse Prof. Ellen Gallagher gezeigt wird. The possible END kombiniert zwei Malereien von Andria Dolidze mit einer installativen Präsentationsform und Objekten von Keta Gavasheli. Zwei Metallstangen, auf an Hundepfoten erinnernde Füße gesetzt, halten mithilfe von wenigen Haken zwei fast quadratische Leinwände. Die zunächst abstrakt wirkenden Formen auf der Leinwand stellen sich bei genauerer Betrachtung als Gesten, einem angedeuteten Schädel sowie einem Schriftzug „The End“ heraus, der auf das apokalyptische Gefühl der letzten Monate unter Covid-19 Bezug nimmt. Im Hintergrund ist ein Schachbrett angedeutet – ein verzerrtes, instabiles Feld, das binäre Gegensätze infrage zu stellen scheint. Die Installation greift des Weiteren ein Nachdenken über physische Fragilität auf: Der Nesselstoff franst an den Kanten aus, die ihn tragenden Stangen – eigentlich aus robustem Metall gefertigt – wirken auf den Tierfüßen nicht ganz so solide und sind an diversen Stellen mit Gips ausgebessert.
„Katastrophen passieren nicht einfach, sie werden gemacht!“, schreiben die beiden Künstler*innen.