Die Völker der Erde ist ein 1902 in Deutschland erschienenes Buch, das ich in Wien erwarb. Als ich im Frühjahr dieses Jahres in meinem Berliner Studio saß, begann ich, das Buch zu zerschneiden. Dieser Prozess, der mit der Zerstörung des Buches begann, war der Auslöser für ein produktives und beständig wachsendes Projekt, in dessen Zentrum der Akt des Widerspruchs (talking back) steht – ein Widerspruch nicht nur dem Autor gegenüber, sondern auch gegenüber der Disziplin der Anthropologie und dem umfassenderen Projekt des europäischen Kolonialismus, auf dessen Grundlage die Weltanschauung beruht, nichteuropäische Kulturen seien primitiv, unzivilisiert oder barbarisch. Hunderte von ausgeschnittenen Buchseiten bilden den Ausgangspunkt für meine malerischen Interventionen. Meine Erwiderungen auf die zahlreichen Bilder und Fotografien des Buches reichen von poetischen Transformationen bis hin zu ironischen Verdrehungen oder gewaltsamen Gesten der Vergeltung. Surreal, komisch und voll scharfer Kritik, handelt es sich bei Die Völker der Erde um ein auch aktuell hoch relevantes Projekt, das die miteinander verwobenen Historien von Macht, Bild und Repräsentation reflektiert.
Rajkamal Kahlon